Goon II


by Georg Osswald

by Georg Osswald

Wenn man David Peaces’ Red Riding Quartett (Liebeskind) gelesen hat (siehe dazu goon No.25 / Frühling 2008), weiß man, dass sich der Brite in seinem Werk fast immer mit realen, längst überführten Serienmördern und deren Taten auseinandersetzt. Wer also Tokio Im Jahr Null (Liebeskind) aufschlägt, ist historisch betrachtet bereits im Bilde. Weshalb greift man dann doch immer wieder bei jedem neuen Peace wie ein Süchtiger zu? Die Antwort liegt auf der Hand. Die Spannung David Peaces’ resultiert aus einer radikalen Wiederverwertung der Realität. In Tokio geht es um die Realität Japans im Jahr 1946. Und die erschüttert jeden, der noch Mark und Bein sein Eigen nennen kann. In der ehemaligen Achsenmacht laufen Millionen ehemalige Schlächter des zweiten Weltkriegs herum und bibbern um ihre verrotteten Seelen. Die postatomare Atmosphäre, ein Jahr nach Hiroshima und Nagasaki, trägt das letzte Quentchen zur Apokalypse bei. Und genau in diesem Grauen stellt ein Irrer jungen Mädchen nach, vergewaltigt und tötet sie. Die Polizei, unser Kommissar heißt hier Minami, ermittelt. Dass gerade der Polizeiapparat ein Amalgam übler Kriegsverbrecher des Kaiserreichs bildet, verstopft die letzten noch nicht zerfetzten Informationskanäle, und macht die Ermittlungen für Minami zu einem Spießrutenlauf zwischen einer sich neu definierenden Yakuza, den Besatzern aus Amerika und den alten Seilschaften des diktatorischen Japans, zu denen sich Minami auch selbst zählen muss. Interessant, vor allem, weil David Peace einen Sprachstil entwickelt hat, der seinesgleichen sucht.

Haas

Gewohnte Hausmannskost hat Wolf Haas mit Der Brenner und der liebe Gott (Hoffmann und Campe) geliefert.

Meine Großmutter hat immer zu mir gesagt, wenn du einmal stirbst, muss man das Maul extra erschlagen.

Mit diesem Satz beginnt das Buch, womit die verirrte Kugel aus dem letzten Brenner wieder aus dem Schädel des Erzählers ausgezogen ist, und danach geht es in vertrautem Ton weiter. Zu verraten gibt es hier, dass alles mit einer Tafel Schokolade seinen Anfang nimmt, und der Brenner, nachdem er durch die blubbernden Sümpfe einer Wiener Abtreibungsklinik gewatet ist, um sich dann mit skrupelosen Immobilienspekulanten anzulegen, in einer Scheißegrube auf Gott trifft, und am Ende im Blut seines Chefs duscht. Ein echter Haas. Ein echter Brenner, wobei sich das anfängliche Namensspiel vom Brenner in Herr Simon holprig liest, weil man beim Lesen sowieso an den Brenner denkt, und nicht an den Herrn Simon Brenner. Manchmal natürlich auch an den Hader.

Grangé

Zu Jean-Cristophe Grangés Der Choral des Todes (Ehrenwirth) kann man wieder einmal sagen, was man zu fast allen Grangés sagen kann, den Showdown, mir fällt kein passenderes Wort ein, liest man nur noch, weil es völlig unbefriedigend ist ein Buch zwanzig oder dreißig Seiten vor Ende wegzulegen. Die Spannung der vorangegangenen fünfhundert Seiten ist ab Seite vierhundert ausgelutscht wie ein altes Kaugummi, und darauf folgt dann eben ein Schluß mit viel Tamtam, den man wie die unangenehmen, lange aufgeschobenen Hausaufgaben runterkloppt. Und siehe da, am Ende gewinnt der „Gute“. Grangé arbeitet nach einem bestimmten Schema, welches sich aus interessanten Ermittlern, einem dicken Faden Gräueltaten, gewürzt mit steriler Gerichtsmedizin, politischer Bestialität und einem Hauch von Religion, Ethnologie oder Esoterik zusammensetzt. Im Choral schnürt der Autor Ungeheuerlichkeiten aus dem KZ Auschwitz, eine Kommune, die ein wenig an Oshos Ranch in Oregon erinnert, und die Foltermethoden aus den lateinamerikanischen Diktaturen der siebziger und achtziger Jahre zu einem Bündel. Übersetzt, gesetzt, gedruckt und ausgeliefert liegt das Produkt dann in unseren Buchläden.

Ani

Ein lange vermisstes Mädchen gilt als verstorben. Ihr Grab befindet sich auf dem Münchner Südfriedhof. Ein geistig behinderter Mann und ehemaliger Bekannter der Vermissten wird nach einem Geständnis als ihr Mörder verurteilt. Die Leiche des Mädchens wird nie gefunden. Sechs Jahre später behauptet ein alter Schulfreund der Vermissten die vermeintlich Tote kürzlich auf dem Marienplatz gesehen zu haben. Polonius Fischer, Kommissar im Kommissariat 111, geht der Sache nach. Nicht zuletzt deshalb, weil damals seine Dienststelle für den Fall zuständig war, sondern auch, weil der Verurteilte sein Geständnis längst zurückgezogen hat. Das psychiatrische Gutachten hält den Widerruf allerdings für nichtig. Fischer zweifelt daran. Friedrich Ani verbindet in Totsein verjährt nicht (Zsolnay) meisterhaft zwei große Sujets, für die er bekannt geworden ist. Zum einen eine Vermissung, man denke hier an die Tabor Süden Reihe, und zum anderen die Arbeit der Mordkommission 111, bekannt als die 12 Apostel um den Helden Polonius Fischer. Was allerdings die größte Leistung des Buches ist, ist wie Ani den Teamplayer Fischer im Laufe der Ereignisse isoliert, und der Roman zu einem Noirroman avanciert. Fischers Freundin, eine Taxifahrerin, liegt zusammengeschlagen, beinahe komatös im Krankenhaus. Fischers Kollegen haben den Fall längst zu den Akten gelegt. Seine Bedenken an dem elfstündigen Verhör, das letztendlich zum Geständnis geführt hat, schürt Misstrauen unter den Aposteln. Der äußere Druck lastet von Kapitel zu Kapitel stärker auf dem Ermittler, was ihn in eine Art innere Kamikazestellung treibt. Aus dieser fundamentalen Position gelingt dem ehemaligen Mönch, was sechs Jahre lang nicht gelang, er findet das tote Mädchen und die im Strudel der neu aufgerollten Ereignisse getötete Mutter. Dunkel, dunkel das Buch, und realitätsnah obendrein. Großartig. Und der Folgeroman ist praktisch auch schon verkauft, denn Polonius Fischer scheint am Ende der Geschichte die Ermittlerarbeit hinwerfen zu wollen. Da fragt man sich, wie geht es wohl mit den 12 Aposteln weiter?

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The Parasitic Ward
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