Was ist wahrer als eine gute Manipulation


Thomas

Ross Elmore Thomas wird am 19. Februar 1926 in Oklahoma City geboren. Als Collegestudent beginnt er im Daily Oklahoman Sportberichte zu publizieren. Später, nach Kriegsteilnahme auf den Philippinen und Abschluss eines Studiums der Anglistik, macht er das Schreiben als Reporter und Redakteur bei Zeitungen und Radiosendern zum Beruf. In den fünfziger Jahren arbeitet er im Frankfurter Studio des AFN (American Forces Network) und ist täglich mit den „Reports from Europe“ live zu hören. In dieser Zeit knüpft er Kontakte zu einer Londoner PR-Firma, die weltweit politische Kampagnen unterstützt. Man kommt ins Geschäft. Thomas wird Wahlkampfberater.

Er gibt seine Tätigkeit beim Radio auf und reist für die Engländer nach Nigeria. Dort berät er einen Präsidentschaftskandidaten bei den ersten unabhängigen Wahlen des Landes. Der Kandidat verliert, und Thomas kehrt zurück in die Staaten. Nach Washington, D.C. Dort klappert er als Mann fürs Grobe im Namen verschiedener Gewerkschaften das politische System ab. Beschafft politische Gelder, mauschelt im Namen fadenscheiniger Politiker, bricht Versprochenes, schreibt Reden für Senatoren und solche, die es werden wollen, teilt aus und steckt ein. Aus dem journalistischen Tagesgeschäft ist er längst ausgestiegen. In dieser Phase gelangt er schließlich an den Punkt, an dem er das hat, was ein Schriftsteller braucht. Zeit und Geld. Und etwas zu erzählen.

Also setzt er sich hin und fängt zu tippen an: Seite 1. Kapitel 1. Sechs Wochen später ist der erste Roman fertig The Cold War Swap (Kälter als der kalte Krieg). Thomas erhält einen Edgar Allan Poe Award für dieses Debüt. Danach legt er Jahr für Jahr einen neuen Roman vor. 1984 wird er zum zweiten Mal mit einem Edgar ausgezeichnet. Für Briarpatch (Dornbusch). 1994 kommt sein letzter Roman auf den Markt. Ah Treachery! (Die im Dunkeln). Insgesamt hat er fünfundzwanzig Romane geschrieben. Zwanzig unter eigenem Namen, fünf unter dem Pseudonym Oliver Bleeck. Am 18.12.1995 erliegt er 69-jährig einem Krebsleiden.

Seit knapp zehn Jahren gibt der Berliner Alexander Verlag eine neu überarbeitete Ross-Thomas-Edition heraus. Das ist erforderlich, denn Thomas’ Bücher wurden in den sechziger und siebziger Jahren aus marktwirtschaftlichen Gründen und verqueren Verlegermaximen teilweise bis auf ein Drittel gekürzt auf den deutschen Markt gebracht. Die Neuauflage ist vor allem aber wichtig, weil der Autor in seinen Romanen Umstände und Folgen realpolitischer Rahmenbedingungen zeigt, die sich, so dumm sie zu sein schienen, Jahre später in ganzer Heimtücke entfalten und für viele heute als gottgegebene Voraussetzungen gelten. Von dauerlaufenden Kopien abgesehen. Und daran zeigt sich wiederum, wie wichtig Autoren wie Thomas für die immer stärker vernachlässigte Aufklärung sind. Was einst aktuell war, wirkt heute in vielen Aspekten aktueller. Das liegt in der Natur der Politik. Noch mehr in der Natur der Kunst. Und das Leben imitiert bekanntlich die Kunst. (Keine Imitation eines politischen Reflexbogens, sondern Anliegen eines Antrags [der LINKEN vom 25.11.2015] im Bundestag ist, Atomwaffen aus Deutschland abzuziehen und Neustationierungen zu stoppen. Dabei geht es unter anderem um die von den USA geplante Aufstellung von neuen lenkbaren B61-12-Atomwaffen in Büchel (Rheinland-Pfalz). Man hätte annehmen können, dass das nukleare Aufrüsten in Deutschland in die Vergangenheit gehört. Aber das Pendel der Zeit schlägt ganz offenkundig wieder in Richtung einer zunehmenden Militarisierung unserer Gesellschaft aus.)

Das Ende der Welt

Korrumpierung, Verrat und Manipulation blühen zu beachtlicher Größe auf. Jeder Konflikt wird in den Dienst der eigenen Interessen gestellt, gerade dann, wenn man in keiner direkten Verbindung dazu steht. Systemisch hat sich also nichts geändert. Bemerkenswert dabei ist, wie Autoren und Autorinnen politische Themen in ihren Büchern verwursten, aber als Menschen selbst möglichst unpolitisch bleiben, was in der Schreibe, den Figuren, den Plots etc. sichtbar wird. Im Schutz einer imperativen Demokratie (als humaner Heilsbringer politischer Ordnung) gewinnt Wert, was auch aus den falschen Gründen richtig sein kann. So findet der gegenwärtige erzählerische Metabolismus die offenbar größte Inspiration in psychologischen (mitunter fragwürdigen) und manches Mal soziologischen (und familiären) Erzählstrukturen. Politische Spannungsromane mit konsistent humanistischer Effizienz bilden eher die Ausnahme. Deshalb ist es gut, das Werk von Ross Thomas zur geistigen (und politischen) Beweglichkeit auf dem Markt zu halten. Die Kunst des Komplotts kommt einem selten näher als in seinen Büchern, und dazu das Schauspiel Leben mit all seinen düsteren Facetten. Das ganze in Moll. Ein Tongeschlecht, das selten im Genre des „Politthrillers“ zu finden ist. Die Fakten zu verstehen, ist eine Sache, die Realität zu erkennen, ist etwas anderes. Thomas verbindet „Politthriller“ mit „Roman noir“ auf brillante Weise. Selbstverständlich setzt er die Allianz von Politik, Justiz und dem organisierten Verbrechen voraus. Ob auf lokaler Ebene, in Gewerkschaften, den Nachrichtendiensten oder in der amerikanischen Kolonialpolitik, er zeigt die Kluft in jedem von uns auf. Die zwischen der Menschlichkeit und der Gier. Der Liebe zum Geld des Triebmenschen. Und zugleich beweist Thomas Größe als Autor, indem er eine unterhaltende Gegenposition einbezieht. Humor, Wortwitz und den Faktor Mensch. Bei ihm kämpfen oftmals kleine Gauner an den Rändern von Großstädten, korrupte Polizeichefs und verkorkste B-Schauspieler um die Aufmöbelung ihres Lebens. Ein Leben ohne Illusionen, aber immer noch mit der Hoffnung auf ein paar Dollar extra. Wobei immer klar sein sollte: Es gibt kein sauberes Geld! So einfach erklärt es der Thomas’sche Charakter Maurice Otherguy Overby in Out on the Rim (Am Rand der Welt).

Denjenigen, die die Bücher von Ross Thomas schon kennen, und sich längst aufs Land zurückgezogen haben, weil sie von der Stadt, ihrem Dreck und ihren Mauscheleien die Schnauze voll haben, rate ich dazu, nochmal den Yellow-Dog Contract (Der Yellow-Dog-Kontrakt) zur Hand zu nehmen, um sich zu erinnern, dass es nicht einfach nur darum geht, Typen in panzerartigen Autos, die zu schnell fahren, den Mittelfinger zu zeigen, sondern dass genau diese Typen einem immer eine Menge Arbeit machen werden. Zufälle gibt es prinzipiell keine. Bei Ross Thomas schon gar nicht. Alles hat ein Nachspiel, oder: „Es begann, wie das Ende der Welt beginnen wird: mit Telefonklingeln um drei Uhr morgens…“ – Wenn man einen Eröffnungssatz wie diesen liest, wer glaubt dann noch, dass sich da gerade jemand verwählt hat.

Die Ross Thomas Edition erscheint im Alexander Verlag, Berlin

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P.S. Mittlerweile gute Tradition haben die Jahreshighlights im culturmag mit einem kleinen Beitrag meinerseits.

P.P.S. Mein Text zu Ross Thomas‘ 20ten Todestag findet sich ebenfalls im Kosmos von Der Freitag. Hier der Link.

Viel Spaß beim Lesen.

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The Parasitic Ward
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