Der stille Krieg der USA


„Und ich will Wunderzeichen geben am Himmel und auf Erden: Blut, Feuer und gerader Rauch; die Sonne soll in Finsternis und der Mond in Blut verwandelt werden, ehe denn der große und schreckliche Tag des HERRN kommt.“

Joel 3, 30-31

1982 beginnt der in München geborene Amerikaner Denis Johnson, Autor von Engel, Jesus Sohn, Schon tot und vielen anderen Ausnahmeromanen, mit der Arbeit an Ein gerader Rauch. Zwanzig Jahre recherchiert er, skizziert Handlungsstränge, kleidet reale Menschen in Romanfiguren, weckt Leben in leeren Gestalthüllen, entwickelt Sprache, schreibt die Handlung, erinnert sich bestimmt auch an seine Jugendzeit, als er mit seiner Familie, sein Vater ist ein ehemaliger G.I., auf den Philippinen oder Japan stationiert gewesen war. Die jungen Jahre im Ausland, der frühe Griff zu Alkohol und Drogen, der spätere Entzug und das damit einhergehende Finden zu Gott fließen in den großen Roman mit ein. Während im Stillen der gerade Rauch entsteht, während der zwei Jahrzehnte der Vorbereitung, publiziert er eine handvoll Romane, zahlreiche Theaterstücke und Kurzgeschichten. Denis Johnson ist überdies Kolumnist beim Esquire, New Yorker und der Paris Review.

Im Auftrag von Esquire und New Yorker war Johnson zweimal nach Liberia, einmal nach Somalia und in den Irak zur Operation Desert Storm gereist, hatte Charles Taylor aufgesucht und andere Warlords getroffen, und war, wie man eindringlich in dem 2001 erschienenem Reportagenband Seek: Reports from the Edges of America and Beyond nachlesen kann, auf tiefste menschliche Abgründe in Zeiten des Krieges gestoßen. Mit Sicherheit haben diese Erfahrungen Johnson dazu bewegt sein Langzeitprojekt endlich abzuschließen, denn wie in den Reportagen auch, beschäftigt den Autor darin der Krieg, oder besser noch Amerika und der Krieg. Vor allem aber stellt er eine viel tiefer liegende Frage. Die Frage nach der Entstehung von Gewalt. Wann übt ein Mensch Gewalt aus? Wie kommt es dazu? Und wie geht er nach dem vollzogenen Gewaltakt damit um?

Der gerade Rauch

2007, nach weiteren fünf Jahren, die Johnson ausschließlich der Arbeit zu Ein gerader Rauch widmet, ist es geschafft. Tree of Smoke, so lautet der Originaltitel, ist achthundertundachtzig Seiten stark und erinnert nicht nur im Titel, sondern auch im Aufbau an einen Baum. Zu Beginn wachsen die Geschichten der Protagonisten in einem starken Stamm zusammen, um sich im Verlauf der Handlung in den Wirren des Vietnamkrieges zu verlieren, der sich wie eine Krone über allen einzelnen Schicksalen ausbreitet. Zeit der Handlung sind die sechziger, siebziger und frühen achtziger Jahre. In ihrem Zentrum stehen William „Skip“ Sands und sein Onkel, Colonel Sands. Beide sind bei der CIA beschäftigt, der Jüngere naturgemäß unter dem Kommando des Älteren. Der Colonel ist eine lebende Legende, zudem ist er die treibende Feder der Handlung, und zuletzt ist er der „Namensgeber“ von Ein gerader Rauch.

Aufklärung und Analyse

1947 beruft Präsident Truman die zivil strukturierte CIA ins Leben, nachdem ihre militärische Vorgängerorganisation, der OSS (Office of Strategic Services), im theoretischen Ansatz überholt erscheint. Zurück aus dem Zweiten Weltkrieg, im Felde ausgezeichnet, bewirbt sich der irischstämmige Colonel Sands bei der jungen Organisation. In den ersten Jahren übergeht ihn der Geheimdienst. Der Colonel nutzt diese Jahre und treibt seine militärische Karriere voran. Die meiste Zeit ist er in Südostasien beschäftigt. Anfang der fünfziger Jahre nimmt die CIA ihn schließlich auf. Ihm liegt das Geschäft und er klettert die Karriereleiter nach oben. Innerhalb des Nachrichtendienstes inszeniert er sich selbst nach der Figur des Colonel Kurtz aus Joseph Conrads Herz der Finsternis, was ihm bei seinen Kollegen eher Feinde als Freunde einbringt. Als dann 1964 Amerika der nordvietnamesischen Republik den Krieg erklärt, ist der Colonel schnell ein gefragter Mann.

In Vietnam befehligt Colonel Sands seine eigene kleine Einheit und genießt unter anderem die Vorzüge eines „privaten“ Hubschraubers aus Armeebeständen. Als er 1966 auch noch seinen Neffen Skip Sands in sein Unternehmen „Landezone“ miteinbezieht – Skip ist offiziell in Vietnam, um landestypische Volksmärchen zu sichten – beginnen einige Karrieristen aus CIA und PSYOPS (Psychological Operations) am Denkmal des Colonels zu kratzen. Der Colonel lässt sich nicht beirren, sondern folgt weiter seinem eigenen „dritten Weg“. Ihm gelingt es einen nordvietnamesischen Spion zum Doppelagenten umzudrehen, den er unter allen Umständen vom Rest der Agency fernhalten möchte. Kurz darauf sickern Skizzen des Aufsatzes „Einfluss der Kommandoebene“, die der Colonel für das interne Presseorgan der CIA, Studies in Intelligence geschrieben hat, an die falschen Männer im Nachrichtendienst, und der Colonel wird mit einem mal zum Gejagten. Seine Ansichten in dem Artikel zerren zu sehr an der Legitimation des Krieges. Die Kernaussage des Aufsatzes ist die Theorie vom geraden Rauch. Sie besagt, dass sich die zwei zentralen Funktionen eines Geheimdienstes, die Aufklärung und die Analyse gegenseitig kontaminieren. Dadurch entstehe Druck von Oben sowie Druck von Unten innerhalb einer Kommunikationskette. In der Kommandoebene werden Richtlinien vorgegeben, der Druck von Oben, die der vorauseilende Gehorsam der Informanten, der Druck von Unten, versucht zu kompensieren. Das Kettenglied dazwischen schreibt der Colonel zur Isolation aus, um beiderseitigem Druck auszuweichen und unabhängig agieren zu können. In den Worten des Colonels klingt das folgendermaßen:

„Man ziehe nur die Möglichkeit in Betracht, dass eine geschlossene oder isolierte Gruppe dafür optieren könnte, Dinge zu erfinden, die unabhängig davon sind, was die Regierung für ihre eigenen Bedürfnisse hält. Und dass sie diese Geschichten dem Feind zuspielen könnte, um Entscheidungen zu beeinflussen.“

Dass diese Einstellung im amerikanischen Nachrichtendienst nicht gerne gelesen wird, ist verständlich. Gerade erst hatte man den alten Mief des OSS aus den Klamotten geschüttelt. Die Ziele waren neu abgesteckt worden. Die alten Mittel wie operative Beschaffung von Informationen, Desinformation, psychologische Kriegführung, Partisanen-Unterstützung, Asymmetrische Kriegführung, Sabotage und Spionageabwehr gehörten in die dunkle Zeit des zweiten Weltkrieges. Unterdessen hatte man mit der Sowjetunion und dem KGB zu tun. Das große neue Ziel hieß smart zu sein, um die Russen nicht zu verärgern. Welche Farce sich in dieser Hinsicht in Vietnam abspielte, zeigt Denis Johnson anhand der Figur des Colonels und seines Neffen Skip Sands auf. Allein der reale Kriegseintritt der USA in Südostasien, unter Vorbehalt des Tonkin-Zwischenfalls, beweist die Wahrhaftigkeit der Theorie vom geraden Rauch.

Tonkin

Im August 1964 werden angeblich zwei amerikanische Kriegsschiffe im Golf von Tonkin von nordvietnamesischen Schnellbooten angegriffen. Diesen Zwischenfall nimmt die Regierung um Präsident Lyndon B. Johnson zum Anlass in die kriegerischen Handlungen zwischen Nord- und Südvietnam aktiv einzugreifen. Bereits 1971, auf dem Höhepunkt des amerikanischen Vietnamkrieges, veröffentlicht der Regierungsmitarbeiter Daniel Ellsberg einen Bericht, die so genannten Pentagon-Papiere. Darin wird die Darstellung des Tonkin-Zwischenfalls durch die ehemalige Regierung als bewusste Falschinformation entlarvt. Und 2005 gibt die NSA (National Security Agency) schließlich öffentlich bekannt, dass der Vietnamkrieg aufgrund einer Falschmeldung an Präsident Johnson begann. Verständlich, dass ein Autor wie Denis Johnson verlockt wurde diese historische Agitation seines Heimatlandes als Nährboden zu einem Roman anzulegen.

Marodierende Familienverhältnisse

Es ist eine gewaltige Geschichte, die Johnson in Ein gerader Rauch aufgeschrieben hat. Neben Skip Sands und dem Colonel agieren andere. Zum einem lernen die Denis Johnson Leser die Vorgeschichte der Houston Brüder kennen, deren letztes Schicksal man schon in dem Buch Engel lesen konnte. Ihre Desillusionierung nimmt hier, in Vietnam, ihren Anfang und endet in der völligen Aufgabe ihres Ichs, zerrüttet vom Krieg und Drogen, oder beides, gezeichnet von maroden Familienverhältnissen, verloren im globalen Gehabe ihrer Nation. Zum anderen ist da Kathy Jones. Eine Krankenschwester, die nach dem Tod ihres Mannes, eines Missionars auf den Philippinen, eine Affäre mit Skip Sands eingeht und wie durch ein Wunder während des Vietnamkriegs einen Flugzeugabsturz überlebt. Auch sie büßt in den Ungeheuerlichkeiten des Elends ihre Identität ein, findet aber am Ende zu sich zurück. Die Menschen in Ein gerader Rauch kommen zusammen, um sich bald darauf wieder zu verlieren, und dabei verlieren sie viel mehr, eine Freundschaft, eine Liebe, oder wie die Hauptfigur Skip Sands hören sie auf zu glauben und zu lieben. Eines ist allerdings allen Menschen in Ein gerader Rauch gemeinsam. Alle verlieren die Sicht auf die Realität und darüber die Möglichkeit zu leben.

Töten, vögeln und Drogen nehmen

Der Handlung, ihrer Figuren und vor allem der Dialoge wohnt eine eigene Welt inne, die wie bei einem organischen Organismus abgeschlossen ist. Das Erzählte hat gewissermaßen ein Äußeres gebildet, eine permeable Haut. Die Sprache Denis Johnsons’ steht für sich.Und die Dialoge tragen die Dynamik des Buches. In den Unterhaltungen des Colonels mit Skip liest man zwischen den Zeilen unverkennbar mit, dass sich Onkel und Neffe nie wieder näher kommen werden als in Vietnam. Und beide wissen das auch. Ihre gemeinsame Beziehung ist der Krieg. Beinahe alle Figuren Johnsons scheinen auf absurde Weise nur in einem Krieg zu funktionieren. James Houston spricht das als einziger deutlich aus, als er von seinen Vorgesetzten vernommen wird, um schließlich ehrenvoll aus der Armee entlassen zu werden. Zuhause untersagten ihm die Gesetze so zu sein, wie er wirklich ist, in Vietnam hingegen werde von ihm verlangt, genau das zu tun, was er immer schon tun wollte. Töten, vögeln und Drogen nehmen. Auf die Frage, warum er denn töten wolle, kann der junge Houston allerdings keine eindeutige Antwort geben. Der Drang liege eben in ihm. Er wisse nicht warum.

Ewige Gewalt

In Denis Johnsons Fragestellung nach der Entstehung von Gewalt ist bereits ein Teil der Antwort enthalten. Die Psychologie jedes Menschen trägt die Bereitschaft zur Gewaltanwendung in sich. Wann diese Seite bei den Menschen an die Oberfläche tritt, ist abhängig von den äußeren Umständen. Die äußeren Umstände eines Krieges setzen die natürliche Schwelle Gewalt auszuüben herab, legitimieren sie sogar. Trotz allem kann niemand, so wie James Houston, sagen, wann er über diese Schwelle geschritten ist. Denis Johnson gelingt es in Ein gerader Rauch anhand sechs unterschiedlicher Menschen einige mögliche Antworten zu liefern. Aber mit Sicherheit wird man auf dieses Thema in kommenden Werken des Autors immer wieder stoßen, denn die Frage – Wann entsteht Gewalt? Wie kommt es dazu? – ist eine Ewige.

Ein gerader Rauch, Rowohlt, von Denis Johnson, aus dem Amerikanischen übersetzt von Bettina Abarbanell und Robin Detje

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Eine Antwort zu Der stille Krieg der USA

  1. cast2dayRoland schreibt:

    Betrüblicher Weise musste das goon-magazin seinen Betrieb einstellen. Deshalb also zwei oder drei Artikel von mir (ehemals bei goon), mit denen ich auch heute noch leben kann, demnächst hier.

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