
by Tina Weber
Punk
„Der Begriff Punk schien für mich die Summe all dessen zu sein, was wir liebten und was wir selbst waren: betrunken, unausstehlich, gerissen, aber nicht angeberisch, absurd, lustig, ironisch und alles, was an unsere dunkle Seite gemahnte“ : Legs McNeil.
1975 setzen sich John Holmstrom, Ged Dunn und Legs McNeil zusammen, um eine Zeitschrift zu gründen, die so sein sollte wie sie und die Bands, die sie hörten. Das ist zumindest die Idee der drei jungen Männer, damals 1975, und kurze Zeit später kommt die Zeitschrift Punk heraus. So erzählt es Legs McNeil in dem beim Hannibal Verlag erschienenen Please Kill Me – die unzensierte Geschichte des Punk. McNeil hat darin zusammen mit Gillian McCain Aussagen von Zeitzeugen der Geschichte des amerikanischen Punk aus siebenundzwanzig Jahren (1965 – 1992) zu dem gut fünfhundert Seiten starken Buch zusammengestellt. Ein unglaubliches Unterfangen, arbeitsintensiv, erschütternd, traurig, erhebend, berauschend und in seiner strengen Interviewform brutal und ungeschminkt.
Die Geschichte nimmt seinen Anfang in der Factory Andy Warhols mit der Gruppe Velvet Underground und Nico. Ihnen erscheint das Harmonie suchende Weltbild der Hippies hinfällig, langweilig, nicht zeitgemäß. Was Autoren wie Burroughs, Ginsberg und Gysin in ihrer Literatur erfassen, beschreibt das Lebensgefühl, das Lou Reed, John Cale, Maureen Tucker, Sterling Morrison und Nico in New York täglich erleben, treffender. Drogensüchtige, Rassenkonflikte, Angeschwemmte, Ziellose, Punks im Moloch der Stadt. Das hat mit einer Blümchenwelt in Frieden und einem Leben in freier Liebe verbunden mit der Natur nichts zu tun. In ihren Texten behandelt Velvet Underground Drogenabhängigkeit, SM-Sexualität, ein Leben ohne Visionen, die Kehrseite des amerikanischen Traums.
Warhol, der die Gruppe managt, besteht bei den Aufnahmen darauf, dass sie bloß nicht die schmutzigen Textpassagen streichen sollen. Sie lassen sie drin, spielen ihre disharmonischen Melodien dazu und die Platte erlangt in kurzer Zeit Kultstatus. Iggy Pop and the Stooges, MC5, The New York Dolls, später The Ramones, The Dictators, Televison und vielen anderen mehr gibt Velvet Underground den Impuls Musik zu machen. Der Punk ist geboren. Und er zerstört, vornehmlich sich selbst; nein; eigentlich nicht der Punk, sondern der Junk. Beides scheint eng miteinander verwoben zu sein. Kommt, und tötet uns! Tötet Mythen, Idole, Ikonen, die Vorstellung von einer glamourösen Welt auf der Bühne und der anschließenden, tabulosen Party auf dem Hotelzimmer. Es zerplatzen die Träume von astronomischen Gagen und Häusern in Beverly Hills, dem so genannten sorgenfreien Leben. Please Kill Me erzählt Musikgeschichte, es erzählt vom Leben in heruntergekommenen Ein-Zimmer-Buden, vom Chauvinismus, vom Straßenstrich, von Drogensucht, von Gefängnisaufenthalten, von Selbstaufgabe und Zerstörung, und natürlich von Musik und Weg weisenden Songs. Punk zerstört sich selbst und andere, macht tot oder einsam.
So berichtet beispielsweise Duncan Hannah davon, wie sein Idol Lou Reed ihm das Angebot machte, ihm doch in den Mund zu scheißen. Duncan Hannah lehnte ab, da schlug Lou Reed vor, er würde sich einen Teller über das Gesicht halten, auf den Duncan Hannah dann scheißen könne. Hannah lehnte wieder ab. Oder Ron Ashton erzählt von Iggy Pop, dass der eines Morgens seinen Penis auf den Tisch legte, draufdrückte und grüner Rotz vorne auslief. Iggy hatte sich einen Tripper eingefangen. Und Angela Bowie lässt sich bedenklich über das Unwissen David Bowies über den Faschismus aus. Bowie fand es wohl witzig im offenen Mercedes durch Berlin zu fahren und dabei den Hitlergruß zu machen. Dee Dee Ramone schildert eine Szene, in der er Sid Vicious Speed gab, das Vicious in die Spritze lud, die Nadel in das bepisste und vollgekotzte Klo steckte und sie damit aufzog, um sich die Droge so und unaufgekocht in die Vene zu schießen. Bebe Buell erinnert sich an den Abend, als man sich traf, um die sterblichen, eingeäscherten Überreste eines befreundeten Musikers durch die Nase zu sniffen. Sie passte, als sie an der Reihe war.
Kann man seine Arbeit noch lieben, wenn man das Leben nicht mehr liebt? Am Ende bleibt das Verhältnis zwischen Rockstar und seinem Publikum immer eine Frage des Geschäfts und der Gleichgültigkeit. „Das Publikum ist eine einzige Masse von Trotteln, also macht es keinen Unterschied, ob sie von der einen oder einer anderen Person verscheißert werden.“ : Lee Childers.
Nach der Lektüre des Buches ist man desillusioniert, ausgebrannt, und für ein bis zwei Tage am besten in einer Kneipe aufgehoben, in der man anschreiben kann, oder man zieht sich mit seiner Liebe aufs Land zurück, macht Waldspaziergänge und beschließt eine Entgiftungskur zu beginnen. Aber in jedem Fall bleibt Please Kill Me – die unzensierte Geschichte des Punk ein fester Bestandteil im Bücherregal, denn der hier vorgestellte Teil Musikgeschichte wirft seine Schatten und Schaumkronen auf das, was uns heute als Undergroundszene verhökert wird, und es bleibt mit Sicherheit ein viel befragtes Nachschlagewerk.
Ich bin eben das erste mal vorbei gekommen. Gefaellt mir ziemlich gut.