„Falken jagen“ von D.B. Blettenberg – Geschichte ist eine Fortsetzung vom Jetzt


Rache sollte am besten kalt serviert werden, heißt es. Die Voraussetzungen dafür sind natürlich ideal, wenn der Racheakt knapp achtzig Jahre später verübt wird. Die Gemüter sind abgekühlt, und die meisten Beteiligten der Biologie nach nicht mehr am Leben oder liegen pharmazeutisch konserviert in ihren Windeln im Heim mit vertrockneter Spucke im Mundwinkel und delirieren dem alten Freund und Helfer Tod entgegen. Nur ganz wenige haben die Natur auf ihrer Seite und können einen dem Alter entsprechend erträglichen Lebensabend genießen. Die Familie ist aus dem Gröbsten raus, Kinder und Enkel sind auf der Sonnenseite des Lebens beheimatet, Existenzängste gehören der Vergangenheit an und die alten Geschichten lagern historisch einbalsamiert im Untergrund. Aber dann taucht mit einem Mal ein Unbekannter in Thailand auf, und fängt an, unschuldige Deutsche zu töten. Irgendwann fällt ihm auch ein Mitarbeiter der griechischen Botschaft zum Opfer, und die thailändischen, deutschen und griechischen Behörden sehen sich gezwungen, zu handeln, zumal der Täter jedem Toten eine kryptische Epistel thailändischer Geschichte beilegt, unterschrieben mit „Der Falke“. Für die Presse ein in Realität umgeschlagener Traum, für den im Genre bekannten Troubleshooter „Farang“Susarak Meier (siehe Pendragon Verlag „Farang“ und „Berlin Fidschitown“) der Auftrag, dem Falken das Handwerk zu legen.

Dies ist, grob zusammengefasst, das Set, auf das der Autor Detlef B. Blettenberg seinen neuen Roman „Falken jagen“ aufbaut. Darauf folgt die im Titel anklingende Jagd. Sie nimmt ihren Anfang in Thailand und endet auf der griechischen Insel Leros. Und Blettenberg serviert kalt. Seine Sprache ist ruhig, präzise, schnörkellos. Die Geschichte mäandert nirgendwo ins Beliebige ab. Spannungsromane erzählt in Deutschland kaum eine andere Autorin oder ein anderer Autor so effizient wie der ehemalige Mitarbeiter der deutschen Entwicklungszusammenarbeit. Szenen, in denen die Hauptfigur „Farang“ mit seinen Kumpanen Bobby Quinn und Tony Rojana in Tony’s Bar die Lage besprechen, erinnern an Beratungen, die Ross Thomas mit seinen Charakteren Artie Wu, Quincy Durant oder Mike Padillo und Mac McCorkle in Büchern wie „Am Rand der Welt“ oder „Umweg zur Hölle“ perfektioniert hat. Blettenbergs Bücher binden immer auch eine historische Perspektive ein. Und aus rein historischer Perspektve ist kaum etwas so beständig wie die Kontinuität menschlicher Gräueltaten; Geschichte somit eine Fortsetzung vom Jetzt.

Am 16. März 1968 räubern, vergewaltigen und töten Soldaten der Task Force Barker im vietnamesischen My Lai und hinterlassen 407 zivile Opfer. Die U.S.-Soldaten ziehen weiter in den Nachbarort My Khe. Resultat: 97 zivile Opfer. Im Oktober 1943 fliegt die deutsche Luftwaffe im „Unternehmen Eisbär“ Angriffe auf die Insel Kos, mit dem nachfolgenden „Massaker von Kos“ an über 100 Italienern. Als Nächstes bereiten sich die deutschen Soldaten auf das „Unternehmen Leopard“ vor, das für den 9.Oktober auf Leros festgesetzt ist. Hier setzt Blettenberg an und entwickelt seine Figur des Falken. Es ist ein Sohn einer Überlebenden der Massaker der Deutschen Wehrmacht. Der Falke selbst kennt die Geschichte nur aus Erzählungen von Augenzeugen, Büchern und Filmen, aber der Samen der Rache ist gesät, springt von einer Generation auf die Nächste über. Das ist interdisziplinäres Arbeiten. Die Evolutionstheorie des Biologen Jean-Baptiste Lamarcks, oder auch Ideen aus der Epigenetik treffen in „Falken jagen“ auf deutsch-griechische Geschichte in Form eines Romans. Am Ende bleibt dem Leser ein Buch in den Händen, das im ersten Moment sehr leise im Innern nachhallt, aber in letzter Konsequenz nichts anderes zulässt, als heutige Geschehnisse historischer Tragweite gründlicher zu bewerten. In Anbetracht der technischen Mittel, die derzeit in Kriegsgeräten zum Einsatz kommen, wird die korrekte Bewertung ein wenig schwieriger, aber natürlich nicht unmöglich, auch wenn das die Absicht der Krieg führenden Nationen ist. Wie könnten die Reaktionen zukünftiger Überlebender und derer Nachkommen aussehen? Beispiel: In Washington wird ein Einsatz befohlen. In Stuttgart wird der Einsatz geleitet. In Dschibuti wird eine Drohne gestartet, die von Ramstein aus geflogen wird. Ihr Einsatzgebiet liegt im somalisch-kenianischen Grenzgebiet in der Nähe von Kulbiyow mit dem Ziel, Mitglieder der Al Shabaab Milizen zu töten. Der Operator sitzt in Ramstein vor dem Bildschirm. Die Predator-Drohne ist im Luftraum von Kulbiyow angekommen. Der Operator bittet via Funk den Vorgesetzten in Stuttgart um den Befehl, welcher Schritt als nächstes auszuführen sei. Stuttgart hat das „Go“ von Washington. Der Befehl erfolgt. Die Rakete wird gezündet, findet ihr Ziel. Ein Dorf ist dem Erdboden gleich gemacht, vollkommen zerstört. Es gibt mehrere Dutzend Tote. Ihre Körperteile liegen verteilt in der somalischen Steppe. Drei junge Männer, die sich in der Nähe auf dem Heimweg befanden, haben überlebt…

384 Seiten Klappenbroschur, PB
Pendragon Verlag, ISBN: 978-3-86532-620-1

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The Parasitic Ward
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