Flip it, Baby!


by Lena Niskanen

Photo by Lena Niskanen

Der Roman Der Tod in Paris und Stories, bei denen man auf die Knie geht und vor Glück in die Fußmatte beißt von Carl Weissner ist als Reader unter dem Titel Eine andere Liga im Wiener Milena Verlag erschienen. Herausgeber sind Vanessa Wieser von Milena und Matthias Penzel, Autor, Journalist und Freund Weissners. Vor den Roman Der Tod in Paris stellt Weissner folgende Erklärung: „Ich bin nicht Autor jeder einzelnen Zeile in diesem Werk. Es ist, wie The Braille Film*, ein Buch von mehreren Autoren, lebenden wie toten. Ich bin einer von ihnen.“ 2007 sucht Weissner Mitschreiber für die Webseite The Cutting Floor. Die Idee ist ein offenes Blog mehrerer Autoren. In einer Email schreibt Weissner an Jan Hermann „but the ostensible aim is to write a collective militant heathen dissident swansong for the 21st century“. Das Ergebnis ist Death in Paris. (Vorsicht! an die Thomas-Mann-Fans, das hier ist nichts für Sie, vor allem nicht mit Venedig zu verwechseln. Wird sich wahrscheinlich auch nicht auf dem drehbaren Verkaufsständer im allgemeinen Buchhandel finden lassen.) Carl Weissner schält sich im Blog schnell als Meistbeitragender heraus. Und für Mitschreiber wie Jan Hermann wird nach wenigen Einträgen klar, The Cutting Floor (alias Death in Paris) war bereits da. Folgt einem inhärenten Handlungsschema. Hat seinen eigenen Sound mit immenser Sogwirkung. Direkt in Weissners Leben hinein. Der Roman ist der Spiegel, der an der Landstraße entlanggetragen wird. Und der Autor beobachtet, was so des Weges kommt. So definierte Stendhal einmal die Arbeit des Schriftstellers. Weissner hatte im Laufe der Zeit einige Moleskine®-Notizbüchlein mit Betrachtungen und Ideen gefüllt. Direkt von der Straße weggekratzt. In diesem Fall von Pariser Straßen. Das Buch geht allerdings weit darüberhinaus. Carl Weissner beobachtet darin detailliert die moderne Medienlandschaft und bildet einen Bodensatz unserer Gesellschaft ab, der schwer zu denken gibt. Zusammen wird das alles dann ausgerollt in das Blog. Weissner wollte nicht, dass es gedruckt wird. The Cutting Floor hatte einen geeigneten Platz. Nach seinem überraschenden Tod Anfang 2012 lag der Fall dann aber anders. Der Tod in Paris verlangte nach einer festen Form mit neuer Halbwertszeit. Darum ging und geht es immer. Mach ein anständiges Buch draus! Neben den Herausgebern ist Keith Seward, Jan Hermann, William Cody Maher, Jürgen Ploog, Walter Hartmann, Linda Bukowski, Mike Rettberg und noch vielen anderen zu danken. Na klar, der Autor ist in der Unternehmung das Wichtigste.

Wer `ne Mücke schluckt, kriegt auch `n Kamel runter

Der Journal du Dimanche bietet folgende Erklärung für den Toten im Männerklo gegenüber der Gepäckausgabe auf Ebene 6A im Terminal2: Ein schwuler Fallschirmjäger habe sich das selbst eingebrockt. Der Präsident der Republik weist darauf hin, daß er schon immer dagegen war, Schwule zum Militär zu lassen. Der Ayatollah von Clichy-sous-Bois erläßt eine Fatwa: „Es ist eure Pflicht, o Brüder, die maricónes zu vermöbeln, wo immer ihr sie antrefft.“ Was den Kardinal-Erzbischof in Harnisch bringt: „Lassen Sie gefälligst unsere anders gepolten Gemeindemitglieder in Frieden, Sie Giftkröte!“ Der oberste Rabbi, den so leicht nichts aus der Ruhe bringt, macht darauf aufmerksam, daß das Beur-Gesocks in Bagneux schon wieder einen Heranwachsenden jüdischen Glaubens ermordet hat (nachdem man ihn drei volle Tage lang gefoltert hatte), ohne daß irgendwer hier einen Anlaß sah, sich groß aufzuregen. „Es ist bemerkenswert, daß 95 Prozent dessen, was französische Zeitungen berichten, von einem Konglomerat aus Waffenfabrikanten und Banken kontrolliert und nicht selten auch generiert wird.“ (The Guardian)

Dies ist ein Blogpost Weissners von etwa Einhundertzwanzig, die zusammen den Roman Der Tod in Paris ergeben. Die Geschichte ist simpel. Ein Psychopath rennt durch Paris, tötet Menschen und macht daraus eine Art Tagebuch-Roman. Das hört sich nach nicht viel an, ist aber erstaunlich. Häufig auch bedrückend. Und die Rechnung geht auf. Der Roman klingt wie ein heidnischer Schwanengesang auf das 21. Jahrhundert. Der Erzähler kommt runter in den Katastrophenschutzbunker (oder wahlweise in den panic room) und berichtet vom gesammelten Restirrsinn, der draußen das Überleben sichert. Von der Alleinherrschaft der Gier liegen gerade mal noch ein paar verseuchte Trümmer in der Landschaft herum. Die Angst vor kobernden Predigern und ihren Söldnern, die wie geile Blutegel im Genick der Seele hängen, erleidet eine historische Baisse gigantischen Ausmaßes (die Worte eines „Börsenberichterstatters“). Und die Sprache als letzte Bastion der Romantik dient einzig als Manipulationsvehikel ins Hirn der Masse. Was vielen als letzte Zuflucht verbleibt, ist konsequenterweise die Nekromantik. Das auf 133 Seiten darzustellen ist nur in verdichteter Form möglich. Also ist Können gefragt. Und Weissner ist Profi. Sprachlich eine Klasse für sich, oder eben eine andere Liga. Hunter S. Thompson hat es mal so auf den Punkt gebracht: „When the going gets weird the weird turns pro.“ (Na vielleicht hat das ja auch Martha Mitchell so oder so ähnlich zum Besten gegeben. Wer weiß?)

Dann sind da noch die Stories, bei denen man auf die Knie geht und in die Fussmatte beisst.

 Frisco, 17. Sept. 1899. Irgendeiner hatte den Einfall, bei O’Gallagher eine Goofball-Party abzuziehen oder eine Fressorgie für ein paar hungrige Exilrussen oder was weiß ich. Jedenfalls, Pélieu und Ferlinghetti kamen im alten Lieferwagen vom City Lights Bookshop an und holten mich ab, unten an der Bay Bridge, wo ich in einem verlausten Loch für 30 Dollar im Monat hauste. Ich saß gerade draußen auf der Feuerleiter & checkte das Apartment gegenüber mit einem alten Feldstecher. (aus Last Exit to Mannheim)

Last Exit to Mannheim ist Carl Weissners erste Story, die er auf Deutsch geschrieben hat. Bis dato hatte er nur auf Englisch veröffentlicht. Sie erscheint 1973 in der Literaturzeitschrift Gasolin 23. Herausgeber sind Carl Weissner, Jürgen Ploog und Jörg Fauser. Weissner war 1970 aus den USA zurückgekehrt (nachdem er dank eines Fulbright-Stipendiums zwei Jahre in New York und San Francisco verbracht hatte). Mit dem Westwind, den er im Rücken hatte, kam erst gar kein Zweifel auf lange rumzufackeln. Die literarisch trübe, in weiten Teilen hirnstichige BRD brauchte geistige Aufmöbelung. Carl Weissner arbeitete daran. Während man so auf der Fussmatte herumkaut, stößt man auf ein reiches Leben, auf Kollaborationen Weissners aus fünf Jahrzehnten, verteilt über den Globus. Cut-up spielt dabei ein große Rolle, natürlich William Burroughs, Allen Ginsberg, Brion Gysin…Weissner schreibt dazu: „Es gab so eine ganze Gruppe – Claude Pélieu gehörte dazu, Mary Beach, der Jürgen Ploog. Das hat sich bei mir so auf Länder verteilt, sogar in Indien waren welche dabei. Wir haben praktisch immer voneinander…nicht abgekupfert, aber Sachen vom anderen verarbeitet, und in irgendeinem Stadium wurden die dann auch publiziert, also als Zwischenergebnis. (…)“ Ein kleines internationales Movement, eine gute Handvoll nur, aber eben die Richtigen**. Was aus dem Movement geworden ist, steht in jedem anständigen Literaturlexikon.

Zwischen den Stories findet man allerdings auch noch anderes. Es ist eine Materialsammlung. Interviews mit Weissner, Briefe (z.B. von Burroughs und Bukowski), Essays (meistens aus Gasolin 23 oder UFO – ein Literaturmagazin, das er mit Udo Breger, Jörg Fauser und Jürgen Ploog 1970/71 produziert hatte), für das Auge gibt es Fotos und die charakteristische Artwork von Walter Hartmann.

Natürlich wird Carl Weissners Zusammenarbeit und Freundschaft mit Charles Bukowski beleuchtet***, und nebenbei auch die Frage, weshalb er so lange und intensiv als Übersetzer tätig war und nicht stärker als Autor in Erscheinung getreten ist. Weissner schreibt dazu: „Für mich ist ja eigentlich immer noch unerfindlich, weshalb ich mit diesem Beruf angefangen habe, nachdem ich mich eigentlich abgeseilt hatte von der deutschen Sprache.“

Wahrscheinlich konnte er am Anfang nicht vorhersehen, dass die Autoren, deren erste Büchlein er übersetzt hatte, beinahe alle zu absoluten Vielschreibern avancierten****. An Erklärungen zu Carl Weissners Schaffen mangelt es in Eine Andere Liga nicht. Zum Glück stammen die meisten von Weissner selbst. Matthias Penzel hatte ihn 1988 ausführlich zu seiner Arbeit befragt. Aus diesem Gespräch sind Ausschnitte in die Kapitel thematisch eingefügt. Das macht Spaß und lockert die Form auf. Der Mensch, das Leben und die Arbeit Carl Weissners kommen beim Leser an. Eine Andere Liga ist Aufklärung und Geschichte. Und gleichzeitig eine Ausweitung von Fiktion im Leben.

*The Braille Film ist Weissners erster Roman aus dem Jahr 1970.

**Was zu Gruppendynamik. Der Autor Ross Thomas sagte mal, als er hörte, dass fünf Typen in Berlin einen Ross-Thomas-Fanclub (Die Oberbaumbrücke) gegründet hatten: „Gut. Ihr habt fünf Mitglieder. Schmeißt zwei davon raus, und euer Club ist exklusiv.“

***Hierzu sei ausdrücklich auf den Briefband Charles Bukowski-Schreie vom Balkon-Briefe hingewiesen. Ein Buch, das in die Kategorie fällt: Wenn du die letzte Seite gelesen hast, fängst du gleich vorne wieder an.

****Eine kleine Auswahl: James Graham Ballard, Charles Bukowski, William S. Burroughs, Bob Dylan, Frank Zappa

….

Carl Weissner: Eine andere Liga. Herausgegeben von Vanessa Wieser und Matthias Penzel. Milena Verlag, Wien, 2013. 374 Seiten

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